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Axel Radlach Pries im Gespräch. (Foto: Charité/Peitz)

28.06.2019

„Wir wollen einen Paradigmenwechsel fördern“

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Charité-Dekan Prof. Axel Radlach Pries über die Notwendigkeit von Tierversuchen und die ethische Verpflichtung, nach Alternativen zu suchen.

Herr Professor Pries, in der Süddeutschen Zeitung ist kürzlich ein langer Artikel erschienen, bei dem der Eindruck entstanden ist, Tierversuche könnten heute bereits durch andere Methoden ersetzt werden, und wer heute noch mit Tieren experimentiert, betreibt Forschung von gestern. Stimmt das denn?

Nein, das stimmt definitiv nicht. Wir sind in einer Situation, in der Tierversuche nach wie vor ganz wesentlich für die Entwicklung neuer Therapien und Diagnostik-Optionen sind. Es gibt sehr viele Beispiele von modernsten Therapien, etwa in der Tumortherapie, wo man ganz klar sehen kann, auf welche Tierversuche diese zum Teil bahnbrechenden Medikamente zurückzuführen sind. Und es ist tatsächlich nicht vorstellbar, wie man die hier gewonnenen Erkenntnisse ohne Tierversuche hätte gewinnen können. Tierversuche sind also nach wie vor notwendig. Aber das ist eben nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass diejenigen Tierversuche, die gemacht werden müssen, optimal durchgeführt werden – Stichwort Refinement, und dass wir zum anderen natürlich auch mehr tun müssen, um alternative Methoden zu entwickeln, so dass sukzessive immer mehr Tierversuche ersetzt werden können.

 Genau diese Ziele verfolgt ja Charité 3R. Was treibt Sie persönlich an, sich so vehement für die 3R-Prinzipien replace, reduce, refine einzusetzen?

Ich bin Physiologe und kam an einem Punkt in meiner Karriere nicht mehr um Tierversuche herum. Durch Computermodelle konnte ich dann zwar mit weniger Tierversuchen zu mehr Ergebnissen kommen,  habe aber doch diese ethischen Anforderungen sehr intensiv empfunden. Tierversuche sind in einem bestimmten Kontext notwendig, ja, aber eben nichts, was einem leichtfällt oder was man gerne macht. Eine weitere wesentliche Erfahrung war die politische Diskussion zu der Frage, wie man mit Tierversuchen umgeht. Und da ist mir aufgefallen, dass ich zwar ohne weiteres sagen konnte, dass Tierversuche im Moment noch unverzichtbar sind. Aber auf der anderen Seite war ich nicht in der Lage, zu sagen: Ich bin überzeugt, dass wir alles tun, um Alternativen zu finden.

Und daraufhin haben Sie die Gründung von Charité3R angestoßen. Wie einzigartig ist das, was Sie machen?

Es ist sicher kein Thema, das nur von uns betrieben wird oder von uns erfunden wurde. Es gibt auch an anderen Stellen Initiativen in diese Richtung, gerade in Berlin gab es bereits im Bereich der Alternativen eine Anhäufung von Expertise. Insofern sind wir Teil einer neuen Entwicklung. Aber die Tatsache, dass sich eine Fakultät selbst verpflichtet, so eine große Einrichtung aus dem Boden zu stampfen, ist schon etwas Besonderes.

Welches der 3R ist Ihnen am Wichtigsten?

Ich denke, beim Thema Refinement ist die Not am größten. Geld ist, gerade auch wegen der kaum existierenden Fördermöglichkeiten, schwer verfügbar. Aus diesem Grund hat Charité 3R hier seit seiner Errichtung im November 2018 bereits sieben Projekte gefördert, die mit jeweils unterschiedlichen Ansätzen die Lebensqualität der Tiere verbessern. Ich weiß, das ist natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber: es ist ein Beginn! – und zwar ein sehr wichtiger. Vieles, was wir tun, soll ja ein Kristallisationskeim werden. Wir wollen zeigen, was möglich ist. Und hieraus können und sollen viele neue Ansätze entstehen.

Um Nachahmer zu finden?

Na klar. Wenn nicht die gesamte Scientific Community im Laufe der Zeit umdenkt, hat das keinen Sinn. Da schließe ich auch die Fachjournale mit ein. Arbeiten mit Alternativmodellen sind momentan noch schwer zu publizieren, oftmals werden zwingend ergänzende Tierversuche eingefordert –  das muss sich ändern. Wissenschaftsfreiheit ist ein sehr hohes Gut. Systemwechsel brauchen allerdings manchmal einen Push, um eine strategische Vorgabe schneller in die – hoffentlich nachhaltige – Umsetzung zu bringen. Für mich ist der Strommarkt mit der Einspeisevergütung für alternative Stromquellen ein Paradebeispiel, heute haben wir einen Strom-Mix. Von alleine wäre das nicht oder nur sehr langsam passiert. Und das ist es auch, was sich Charité 3R auf die Fahnen geschrieben hat. Wir wollen einen solchen Paradigmenwechsel mit fördern, bundesweit und auch europaweit.

Was tut sich auf diesem Gebiet der tierfreien Alternativen?

Es gibt eine Reihe von Entwicklungen wie Organ-on-a-Chip oder in silico-Ansätze. Oder das, was an Charité 3R von Prof. Hippenstiel vorangetrieben wird – die Untersuchung von menschlichem Material, das aus Operationen gewonnen und nach Klärung von Verwendungsfragen sowieso zur Verfügung steht. Das sind sehr wichtige Komponenten für die Entwicklung von echten Alternativen. Kürzlich haben wir 34 Millionen Euro für den Forschungsbau „Der Simulierte Mensch“ eingeworben. In diesem Projekt werden zusammen mit der TU Berlin genau solche tierfreien Alternativmethoden entwickelt, indem der simulierte Mensch als experimentelles Modell in den Fokus gestellt wird. Es passiert also schon eine Menge; aber das braucht Zeit. Windräder minderer Güte in einem falschen Kontext nutzen niemandem. Ein Systemwechsel geht nur, wenn wir gute und verlässliche Alternativen haben. Darum werden die wissenschaftlichen Projekte von Charite 3R auch in einem kompetitiven Verfahren durch externe Gutachter ausgewählt, so dass die Qualität sehr hoch ist.

Ein wichtiges Ziel von Charité 3R ist die Verbesserung von Forschung im Allgemeinen. Werden dadurch Tierversuche tatsächlich verbessert oder gar reduziert?

Das QUEST Center von Prof. Dirnagl, das vom Berlin Institute of Health gefördert wird, befasst sich intensiv damit, wie man die wissenschaftliche Qualität von Versuchen mit Tieren und Alternativmethoden verbessert. Wir wissen zum Beispiel, dass Stress Entzündungsreaktionen bei den Versuchstieren hervorruft und dies die Ergebnisse verzerrt. Oder es kann sein, dass ein Versuch mit 6 Tieren unethisch ist, weil er statistisch nicht robust und nicht wiederholbar ist, aber ein Versuch mit 15 Tieren reproduzierbar und somit richtig ist. Insofern geht es hier einerseits darum, die Qualität der Forschung, ihre Reproduzierbarkeit, zu verbessern, und andererseits darum, sinnlose Tierversuche einzusparen und die Belastung der Tiere zu verringern. QUEST ist wirklich eine einmalige Sache und arbeitet eng mit Charité 3R zusammen.

Im eingangs erwähnten Artikel wird ein namhafter Professor zitiert, der behauptet: 95 Prozent aller Tierversuche seien nicht auf den Menschen übertragbar. Was ist da dran?

Das ist ein Totschlagargument. Die Übertragbarkeit von Ergebnissen auf den Menschen ist immer eine Herausforderung. In eine klinische Studie werden Hunderte, wenn nicht Tausende Patienten eingeschlossen. Warum? Weil selbst das Ergebnis von einer Person auf die andere nicht übertragbar ist. Die Versuche mit stark reduzierten Mausmodellen, die jung sind und unter keimfreien Bedingungen gehalten werden, können im Zweifel immer nur ein Positivargument bringen: „Ja, da funktioniert’s!“. An der Charité überlegen wir derzeit gemeinsam mit externen Partnern, die Tiere in größeren Gruppen und unter natürlicheren Verhältnissen zu halten, um Erkrankungen in einem realitätsnäheren, aber dennoch experimentell kontrollierbaren Umfeld zu machen. Solche Projekte sind natürlich eine große Herausforderung und wir werden sehen, welche Auswirkungen dies auf die Übertragbarkeit hat.

Teilen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Charité eigentlich Ihre Begeisterung?

Es gibt schon viele, die das Thema wirklich interessiert. Beim ersten Call haben sich über 100 Interessierte gemeldet. Aber wir möchten nicht nur möglichst viele, sondern im besten Fall natürlich alle überzeugen und klarmachen, dass wir ein wissenschaftlich hoch interessantes Angebot haben und neue, nachhaltige Ideen mit Nachdruck befördern wollen. Und wenn das geschafft ist, wollen wir auch die großen Forschungsförderungseinrichtungen dazu bringen, den Game-Change mit uns zu machen. Alle sollen sich zu einer Art „Einspeisevergütung“ verpflichten.

Forschende, die mit Tierversuchen arbeiten, sehen sich oft heftigen Anfeindungen ausgesetzt. Was sagen Sie dazu?

Mir ist es extrem wichtig, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die tierexperimentell arbeiten und solche, die an Alternativmethoden forschen – wobei sie nicht selten beides in Personalunion tun oder in Teams zusammenarbeiten – auf demselben ethischen Level gesehen werden. Dies gilt uneingeschränkt auch für das Personal in den tierexperimentellen Einrichtungen, die hier oft vergessen werden. Sie verdienen in derselben Weise unseren ungeteilten Respekt, da sie sich gleichermaßen dem gemeinsamen Ziel verschrieben haben, die Medizin der Zukunft voranzubringen. Mindestens 80 Prozent unserer Medikamente sind durch Tierversuche entstanden. Deswegen habe ich kein Verständnis dafür, wenn Kollegen und Kolleginnen aus diesen Bereichen gesellschaftlich auf eine Strafbank gesetzt werden. Im Gegenteil, ich finde, sie verdienen Unterstützung! Denn wir arbeiten gemeinsam am biomedizinischen Fortschritt. Ebenso hat die gesamte Community die Verantwortung, Alternativen zu fördern. Und das kann auch heißen, dass man vielleicht mal zehn Prozent der Mittel in Alternativmethoden oder eine bessere Tierhaltung steckt. Über so eine Subventionierung sollte man dringend nachdenken. Ich glaube, dass unsere Wissenschaftler ein großes Verständnis dafür haben, dass dies ein Thema ist, mit dem man sich ernsthaft und immer wieder beschäftigen muss.

Und welche Resonanz findet Charité 3R in der Öffentlichkeit?

Im Moment arbeiten wir daran, unsere Glaubwürdigkeit aufzubauen. Jeder soll wissen, dass wir alles tun, um Tierversuche entbehrlich zu machen, auch wenn wir sie jetzt noch für nötig halten. Es gibt sicherlich immer Leute, die sagen: „Tierversuche, das geht gar nicht!“. Aber ich habe es bereits selbst wiederholt in politischen Diskussionen miterlebt, dass Kritiker oder sogar Gegner von Tierversuchen anschließend unseren Ansatz an der Charité für sehr gut befunden haben.

(Autorin: Beatrice Hamberger)

Kontakt

Dr. Julia Biederlack

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