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Meldung

19.03.2021

Mit Computersimulationen schneller zum besseren Implantat

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Die Entwicklung und Zulassung von kardiovaskulären Implantaten ist aufwändig, langwierig und teuer. Im EU-Projekt SIMCor entwickeln Forschende unter Federführung der Charité nun Computersimulationen, die die Prozesse beschleunigen und zu besseren Produkte führen sollen. Durch die In-silico-Modellierungen werden etliche Tierversuche eingespart, manche sogar komplett ersetzt.

Kardiovaskuläre Medizinprodukte wie Stents, Herzschrittmacher oder Mikropumpen haben eine lange Vorgeschichte. Bevor die Implantate zum ersten Mal an einem Menschen erprobt werden dürfen, müssen sie zahlreiche Prüfverfahren durchlaufen. Sie werden zum Beispiel in Maschinen eingespannt, um ihre mechanische Belastbarkeit zu beweisen, und schließlich in zahlreichen Tierexperimenten überprüft. All das ist langwierig und teuer und im 21. Jahrhundert eigentlich nicht mehr wirklich zeitgemäß.

Das findet auch Prof. Dr. Titus Kühne, Leiter des Instituts für kardiovaskuläre Computer-assistierte Medizin (ICM) an der Charité. Zusammen mit einem interdisziplinären Team aus den Bereichen Informatik, Mathematik, Physik und den Ingenieurswissenschaften entwickelt der Kinderkardiologe sogenannte In-silico-Modellierungen. Das was bisher nur In-vivo, also in einem lebenden Organismus möglich war, wird hier mit intelligenten Algorhythmen im Computer simuliert, der Einbau eines Schrittmachers in ein schlagendes Herz etwa.

Charité koordiniert EU-Verbundprojekt SIMCor 
Dank der ICM-Expertise konnte die Charité im Herbst die Ausschreibung des Horizon-2020-Projekts SIMCor (In-silico testing and validation of cardiovascular implantable devices) gewinnen. Das Verbundprojekt mit zwölf weiteren Partnern aus acht Ländern wird von der Europäischen Union (EU) über drei Jahre mit insgesamt 7,2 Millionen Euro gefördert. Aufgabe des Forschungsverbunds ist es, eine Computerplattform für die Entwicklung, Testung, Validierung und Zulassung von Herz-Kreislauf-Implantaten zu schaffen, die Forschung und Industrie, aber auch den zuständigen Behörden künftig einmal als Richtschnur dienen soll. Titus Kühne koordiniert das Projekt.

„Letztlich geht es darum, dass kardiovaskuläre Implantate besser und sicherer werden, aber auch darum, die Entwicklung schneller und kostengünstiger zu machen, so dass am Ende ein sozioökonomischer Mehrwert entsteht“, erläutert Professor Kühne die Ziele des Vorhabens.

Computermodellierungen sollen herkömmliche Prüfmethoden ersetzen 
Dass bessere Medizinprodukte, die schneller und kostengünstiger zu den Patientinnen und Patienten kommen, mit Hilfe von Computersimulationen machbar sind, wollen die Forschenden beispielhaft an zwei Implantaten beweisen, die ohnehin gerade von Industriepartnern entwickelt werden: einem Transkatheter-Aortenklappen-Implantat (TAVI) und einem Drucksensor für die Lungenarterien (PAPS). Der Proof-of-Concept wird letztlich durch einen Vergleich des neuen mit dem alten Verfahren erbracht, jedenfalls wenn alles gut geht. „Erfolgreich sind wir dann, wenn wir zeigen können, dass unsere In-silico-Modellierungen bessere bzw. genauere Ergebnisse bringen als die herkömmlichen Prüfmethoden“, sagt Kühne. Wann „besser“ tatsächlich besser ist, das rechnen Statistikerinnen und Statistiker der Projektgruppe aus. 0,5 Prozent Verbesserung wären laut Kühne definitiv zu wenig, 20 Prozent wären wünschenswert und „ein durchaus realistisches Ziel.“

Das Potenzial virtueller Patienten ausschöpfen
Dann, so der Mediziner, könnten Tierstudien verkürzt, verkleinert und mitunter ganz ersetzt werden. „Wir peilen eine Verringerung um rund 30 Prozent an, sowohl was die Stichprobengröße als auch die Studiendauer betrifft“, sagt der SIMCor-Projektleiter mit Blick auf das Einsparpotenzial von Tierversuchen. Bei einzelnen Entwicklungsschritten sei sogar ein hundertprozentiges Replace möglich, betont er. Denn: „Man muss nicht für jedes einzelne Experiment einen Tierversuch machen.“Auch klinische Studien werden hinsichtlich Studiendauer und Anzahl der Probandinnen und Probanden in ähnlichen Größenordnungen verschlankt werden können, wenn ein neues Produkt künftig einmal in einer virtuellen Patientengruppe mit unterschiedlichsten Vorerkrankungen und anatomischen Gegebenheiten getestet werden kann. Auf diese Weise sollen medizinische Implantate zukünftig auch für Kinder nutzbar gemacht werden.

Drei Jahre haben die Forschenden Zeit, um die entsprechende Methodik zu entwickeln. Obendrein sollen gerätespezifische Testmodelle entstehen, mit deren Hilfe die Sicherheit, Wirksamkeit und Benutzerfreundlichkeit von Medizinprodukten vorhergesagt werden kann. Eine sportliche Timeline für ein Vorhaben, das neue Standards setzen will. Schlussendlich müssen Zulassungsbehörden wie die Europäische Arzneimittelagentur (EMA), die amerikanische FDA, TÜV, benannte Prüfstellen und ISO-Normgruppen von den neuen Prüf- und Validierungsverfahren überzeugt werden. Kühne glaubt, das wird noch ein langer, steiniger Weg, bis die Behörden sagen: Ja, wir akzeptieren das. Doch die SIMCor-Forschungsgruppe weiß eine ganze Community hinter sich, die das gleiche fordert: Computersimulationen stärker im Zulassungsprozess von Medizinprodukten und Arzneimitteln zu verankern.

Digitale Transformation dient den 3R-Zielen
Die Medizin hinkt in dieser Hinsicht anderen Branchen hinterher. Kein Flugzeug stiege in die Luft, kein Auto rollte auf der Straße ohne entsprechende Vorab-Simulationen im Computer. Doch nun holt die Medizin ihren digitalen Rückstand auf, in diesem Fall mit Rückendeckung der EU. Denn auch in Brüssel weiß man, dass durch Computersimulationen vieles besser, schneller und kostengünstiger geht, dass digitale Transformation die Zukunft ist. Und dass nebenbei noch Tierversuche eingespart werden können, ist ein willkommener Nebeneffekt.

Komplett werde man zwar nicht auf Tierversuche verzichten können, meint Titus Kühne. „In der Gesamtschau werden wir aber die Zahl der Tierversuche in großem Umfang reduzieren können, und das ist ein weiterer Mehrwert dieses Projekts.“

(Text: Beatrice Hamberger)

Links

Institut für kardiovaskuläre Computer-assistierte Medizin

SIMCor-Verbundprojekt

Kontakt

Dr. Julia Biederlack

Stellvertretende Leitung der Geschäftsstelle, Koordination Kommunikation und ÖffentlichkeitCharité – Universitätsmedizin Berlin

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