Warum lockern sich manchmal Gelenkimplantate, so dass die Betroffenen erneut operiert werden müssen? Und kann man eine genetische Knochenerkrankung möglicherweise mit einer Gentherapie heilen? Forschende der Charité untersuchen diese Fragen an Miniaturknochen auf einem Chip. Das Besondere daran: Der Knochen wird aus menschlichem Knochenzellen gezüchtet und liefert in diesem Bereich aussagekräftigere Ergebnisse als Tierversuche.
Seit 2016 arbeiten Forschende der Charité an einem Miniaturknochen auf einem Chip. Jetzt ist das System so stabil, dass es für diverse Untersuchungen und die Erforschung neuer Therapien genutzt werden kann. Nina Stelzer vom Julius-Wolff-Institut und dem Berlin Institute of Health (BIH) der Charité hat daran maßgeblich mitgewirkt.
Nun versuchen die Doktorandin der Biotechnologie und ihre Kolleginnen und Kollegen mit Hilfe des Modells eine Gentherapie für die Knochenerkrankung Osteopetrose zu entwickeln – eine Erkrankung, bei der die knochenabbauenden Zellen aufgrund eines Gendefekts dysfunktional sind und die unbehandelt tödlich enden kann. Parallel dazu forscht sie mit induzierten pluripotenten Stammzellen, um beispielsweise die Auswirkungen von Gen-Mutationen auf den Knochen zu untersuchen.
Ihre Kollegin Melanie Ort untersucht derweil das Phänomen der aseptischen Osteolyse, also warum sich bei einigen Patientinnen und Patienten die Hüft- oder Knieprothesen lockern, so dass eine Revisions-Operation nötig ist. Der Metallabrieb steht unter Verdacht, das Gleichgewicht zwischen knochenabbauenden und –aufbauenden Zellen zu stören, lokale Entzündungen auszulösen und auch Auswirkungen auf das gesamte Immunsystem zu haben. „Das Modell bietet vielfältige Möglichkeiten für ganz unterschiedliche Forschungsfragen“, sagt Nina Stelzer, „und ist ein schönes Beispiel dafür, dass Forschung nicht nur ‚from bench to bedside‘, sondern auch umgekehrt vom Krankenbett ins Labor erfolgen kann.“
Aus menschlichen Knochenzellen gemacht
Es ist menschlicher Knochen, der hier am Campus Virchow Klinikum auf einem Zwei-Organ-Chip gezüchtet wird. In einer Kammer auf dem Chip befinden sich Knochenzellen, die aus Biopsien von operierten Patientinnen und Patienten stammen: Osteoklasten, also knochenabbauende Zellen, ihre Gegenspieler Osteoblasten und mesenchymale Stromazellen sowie Immunzellen. Die Zellen haben die Forschenden in Zusammenarbeit mit der Core Unit für Cell Harvesting (BCRT-CH) zuvor Schritt für Schritt aus dem Knochenmark isoliert (Osteoklasten wurden aus Monozyten differenziert) – und auf einen rund ein Zentimeter hohen zylinderförmigen Spongiosa-Knochen gegeben. Dieser kleine Knochen stammt aus einer Gewebebank und dient den Knochenzellen als Gerüst. Damit die Zellen wachsen und ihrer Funktion nachkommen können, werden sie über einen Druckluftanschluss kontinuierlich mit einem Nährmedium aus einer zweiten Kammer des Chips versorgt. Darin ist alles, was die Zellen zum Überleben brauchen – ähnlich wie bei einem echten Blutkreislauf.
In rund fünf bis acht Wochen organisiert sich die dynamische 3D-Kultur selbstständig und kommt unter Betrachtung der Grundfunktionen, laut Stelzer dem „Original nahe“: „Die Knochenzellen bilden wirklich eine Homöostase. Das heißt, die knochenabbauenden Zellen bauen Knochen ab und die aufbauenden Zellen bauchen Knochen auf. Es ist also alles im Gleichgewicht.“
Die Nähe zur Klinik ist ein unschlagbarer Vorteil des Modells. Denn die Miniaturknochen spiegeln die Heterogenität der Patientinnen und Patienten hinsichtlich Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen und weiterer individueller Merkmale wieder. „Keiner von uns ist gleich und das Immunsystem ist so individuell wie ein Fingerabdruck“, sagt Melanie Ort. „Diese Vielfalt können wir auf dem Chip viel besser abbilden als im Tierversuch, da Tiere in vielerlei Hinsicht nicht mit dem Menschen vergleichbar sind. Insofern ist unser Modell viel aussagekräftiger als beispielsweise eine Maus.“
Immunreaktionen können gemessen werden
Auch wenn das menschliche Immunsystem viel komplexer ist als hier auf dem Chip – für die Versuche reicht es aus. An dem Modell mit seiner dynamischen Kultivierung können die Forschenden sehr gut beobachten, wie sich die menschlichen Zellen verhalten und auf bestimmte Reize reagieren. Typische Auf- oder Abbauprodukte können ebenso gemessen werden wie Toxizitätsprodukte oder eine Immunreaktion. Verschiebt sich etwa die Population der Immunzellen und es sind plötzlich ganz viele T-Zellen da, ist das ein Alarmzeichen. Eine solche Immunreaktion kann zum Beispiel im Projekt von Melanie Ort eine Metallunverträglichkeit bedeuten.
Aber auch in Nina Stelzers „Gentherapieprojekt“ spielen Immunreaktionen eine große Rolle. Bei diesem Ansatz wollen die Forschenden ein gesundes Gen in die Vorläuferzellen der knochenabbauenden Zellen einbringen und die genetisch korrigierten Zellen den Patientinnen und Patienten anschließend wieder zurückgeben. Das Gen, das die Osteopetrose auslöst, wird sozusagen im Labor ersetzt. So jedenfalls die Idee. „Bevor so eine komplizierte Therapie in der Klinik einsetzbar ist, muss das natürlich erst mal auf Risiken getestet werden. Und das findet gerade bei uns statt“, erläutert Nina Stelzer. Einige Jahre wird das wohl noch dauern.
Wesentlich früher könnten Patientinnen und Patienten profitieren, die ein neues Gelenkimplantat erhalten sollen. Die Idee, dass das Modell zur personalisierten Vorhersage einer potenziellen Metallunverträglichkeit genutzt wird, liegt laut Stelzer „in greifbarer Nähe.“ In Frage kämen zum Beispiel Patientinnen und Patienten mit einer Nickelallergie. Eine Biopsie würde reichen, um einen individuellen Miniaturknochen zu züchten, an dem dann die Prothesenmetalle wie Titan, Kobalt oder Chrom getestet werden können.
Dank der Miniaturknochen auf dem Chip kommen die Forschungsvorhaben ohne einen einzigen Tierversuch aus. Hier findet also ein echtes Replacement statt.
(Text: Beatrice Hamberger)
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