


Vor ziemlich genau einem Jahr feierte Charité 3R seine offizielle Eröffnung. Aus diesem Anlass hatte das Zentrum am Dienstag, den 17. Dezember, zu einem Symposium mit dem Titel „One year Charité 3R – Results and perspectives“ ins CCO Auditorium am Campus Mitte geladen.
Welche Mission und Ziele Charité 3R verfolgt, was in den vergangenen zwölf Monaten geleistet und erreicht wurde und wo die größten Herausforderungen in der Zukunft liegen, das konnten die Gäste in über einem Dutzend kurzweiliger Vorträge erfahren. Das Symposium war gleichzeitig das „Onboarding“ des neuen Scientific Advisory Boards, das am heutigen Mittwoch in Berlin zu seinem ersten Arbeitstreffen zusammen gekommen ist.
Charité-Dekan Prof. Axel Radlach Pries erinnerte in seiner Begrüßungsansprache an die Gründungsgeschichte von Charité 3R, die vor mehr als drei Jahren mit einer politischen Diskussion begann, wie man mit Tierversuchen in der „Wissensstadt“ Berlin umgehen wolle. „Damals konnte ich zwar ohne weiteres sagen, dass Tierversuche im Moment noch unverzichtbar sind“, erzählte Pries. „Aber ich war nicht in der Lage zu sagen, dass wir alles tun, um Alternativen zu finden.“
Tierversuchsalternativen beginnen im Kopf
Hochkarätige Unterstützung erhält Charité 3R dabei ab sofort durch das international besetzte fünfköpfige Scientific Advisory Board sowie durch ein sechsköpfiges Berlin Advisory Board. Charité 3R Sprecher Prof. Stefan Hippenstiel begrüßte die neuen Gremiumsmitglieder herzlich und richtete seinen Dank auch an all die anderen anwesenden Gäste – darunter die Mitglieder des Sprecherrats von Charité 3R und die vielen Charité-Mitarbeiter, die sich für das Thema aktiv engagieren oder ernsthaft interessieren. „Sie alle machen 3R an der Charité möglich“, sagte er. „Das ist großartig und verdient unseren besonderen Dank.“
„3R“ steht für „Replace – Reduce – Refine“, also Tierversuche mit Hilfe von alternativen Methoden zu reduzieren (reduce) oder sogar komplett zu ersetzen (replace) sowie die Lebensbedingungen der Tiere zu verbessern (refine). Beim Refinement sei die Not noch am größten, berichtete Prof. Hippenstiel und verwies auf elf Projekte, die von Charité 3R zu diesem Thema bereits gefördert wurden, etwa die Verbesserung des Schmerzmanagements von Labortieren. „Der Aspekt des Tierwohls kann gar nicht genug herausgehoben werden“, meinte der Lungeninfektionsforscher in Anbetracht der vielen Tierversuche, die immer noch die biomedizinische Forschung prägen.
Kulturwandel verspricht auch eine bessere biomedizinische Forschung
Um einen Kulturwandel bzw. ein Umdenken in der Wissenschaftsszene voranzutreiben, setzt Charité 3R auf die drei Säulen Kommunikation, Weiterbildung und Forschungsförderung. Aber auch in neue 3R-Technologien wird investiert - ab Januar 2020 jährlich fast eine Millionen Euro. Hierzu gehören zum Beispiel computergestützte Modelle, Gen- oder Stammzelltechnologien, mit deren Hilfe tierversuchsfreie Modelle wie etwa Organoide (weiter-) entwickelt werden können. „Diese Technologie-Plattformen werden Charité-weit zur Verfügung stehen und sind ebenso wichtig wie das Training unserer Wissenschaftler*innen“, erklärte Hippenstiel. Das Investment lohne sich nicht nur im Hinblick auf das Tierwohl, betonte er, sondern werde auch die Forschungsergebnisse verbessern und damit die Translation beschleunigen. „Wir können unser Wissen, unsere Diagnostik und unsere Therapien von Krankheiten verbessern, wenn wir die 3R-Prinzipien konsequent anwenden“, zeigte sich Hippenstiel überzeugt.
Das bestätigte auch Prof. Arti Ahluwalia, Mitglied des Scientific Advisory Boards aus Italien. Die Wissenschaftlerin von der Universität Pisa und Chefin des Nationalen Centro 3R Italiens forscht selbst an Gehirn-Organoiden und hat errechnet, unter welchen Bedingungen die Minihirne optimal funktionieren. Unter den richtigen Konditionen, so Ahluwalia, bildeten Organoide die menschliche Physiologie in mancher Hinsicht besser ab als die Maus oder die Ratte, erklärte sie. „Denn sie sind aus dem gleichen Material gemacht wie wir.“
Darf der Mensch Tiere für seine Zwecke nutzen?
Dass solche innovativen Möglichkeiten mehr und mehr genutzt werden müssen, ist laut dem Philosophen Prof. Peter Kunzmann vom Institut für Tierhygiene, Tierschutz und Nutztierethologie der Universität Hannover, ebenfalls Mitglied des Scientific Advisory Boards, auch noch unter einem anderen Aspekt wichtig. Heute bestehe gesellschaftlicher Konsens, dass der Mensch Tiere für seine Zwecke nutzen dürfe - sei es als Haustier, als Nahrungsquelle oder eben für die Forschung. „Diese ethische Bewertung ist aber menschengemacht und kann eines Tages auch in Frage gestellt werden“, meinte Kunzmann.
Charité-Dekan Pries teilt die ethischen Bedenken und hob die moralische Verpflichtung des Menschen gegenüber anderen Lebewesen des Planeten hervor. „Wir haben die Pflicht, energisch die Entwicklung von Tierversuchsalternativen voranzutreiben“, sagte er. „Und wir wollen deshalb auch einen Paradigmenwechsel anstoßen, Charité-weit, deutschlandweit und europaweit.“
(Autorin: Beatrice Hamberger)
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