
Mit rund 100.000 Nervenzellen besitzt die Fruchtfliege ein ziemlich kleines Gehirn. Doch das hat auch gewisse Vorteile. Das Team um den Neurophysiologen Prof. Dr. David Owald nutzt Drosophila melanogaster, um Antworten auf eines der ganz großen Rätsel der Menschheit zu finden: Wie werden wir gesteuert? Durch einen ERC Consolidator Grant wird die Arbeit nun mit rund zweieinhalb Millionen Euro gefördert.
Wenn wir hungrig sind, essen wir; wenn wir müde sind, gehen wir schlafen und wenn eine Belohnung lockt, passen wir unser Verhalten entsprechend an. Komplexer wird es, wenn zwei konkurrierende Bedürfnisse aufeinander treffen. Hunger und Müdigkeit zum Beispiel oder Schlafbedürfnis versus Gefahrenabwehr. Wie entscheidet unser Gehirn dann? Und wie treffen wir überhaupt Entscheidungen, das eine zu tun und das andere zu lassen?
Mit solchen grundlegenden Fragen der Verhaltenssteuerung beschäftigt sich der Neurophysiologe und Verhaltensforscher Prof. Dr. David Owald mit seiner Arbeitsgruppe „Verhaltensbiologische und physiologische Neurogenetik“ am Institut für Neurophysiologie der Charité. Die Experimente finden allerdings nicht mit menschlichen Probanden statt, sondern mit einem winzigen Insekt, das wir häufig an gammelndem Obst oder am Rest im Weinglas finden: der Fruchtfliege. Auch wenn Drosophila melanogaster nur schätzungsweise 100.000 Nervenzellen besitzt und der Mensch rund 100 Milliarden, ist das Tierchen zu einem beliebten genetischen Modell in der Verhaltensbiologie geworden, so dass in diesen Bereichen bei bestimmten Fragestellungen auf den Einsatz höher entwickelter Organismen verzichtet werden kann.
„Wollen wissen, wie wir gesteuert werden“
„Wir wollen wissen, wie wir gesteuert werden, diese komplexen Dinge möchten wir gerne verstehen“, sagt David Owald, der auch Mitglied des Exzellenzclusters NeuroCure ist. Momentan wisse man noch viel zu wenig darüber, wie genau Netzwerke von Nervenzellen und Filtermechanismen im Gehirn zu gewissen Verhaltensmustern führten und Entscheidungen oder auch Erkrankungen wie Depressionen beeinflussten.
Dass Owald und seine Kollegen für die Lösung großer Rätsel ausgerechnet die Fruchtfliege nutzen, hat einen einfachen Grund: Einerseits überlappen sich bestimmte Grundbedürfnisse und die damit verbundenen Verhaltensmuster mit dem Menschen. Andererseits bieten genetisch modifizierte Fruchtfliegen Forschenden die Chance, einzelne Nervenzellen zu aktivieren und dabei zuzusehen, wie sich ihr Verhalten ändert. In Säugetieren wäre das deutlich schwieriger.
Schlaf etwa könne man sich sehr gut in der Fliege anschauen, in dem man bekannte Schlafneurone anschalte, um die Fliege schlafen zu lassen, meint David Owald. Auch Hunger oder das assoziative Gedächtnis etwa zwischen einem Duft und der abgespeicherten Erinnerung daran ließen sich an dem Insekt gut erforschen. „Uns interessiert, welche Aktivitätsmuster basalem Verhalten zu Grunde liegen und wie sich Hirnstrukturen beispielsweise durch eine Zucker-Belohnung verändern und wie sich das dann wiederum auf das Gedächtnis und das Verhalten auswirkt“, betont der Verhaltensforscher.
Belohnung ist ein ganz großes Thema in der Verhaltensforschung. Im Extremfall können Belohnungsreize sogar bei der Fruchtfliege zu einem „suchtähnlichen Verhalten“ führen. Andere Forschungsteams hatten einen solchen Kontrollverlust schon für Alkohol gezeigt und damit sowohl die Parallelen zwischen beiden Spezies unterstrichen als auch Grundlagen für die Suchtforschung gelegt. „Natürlich sind wir weit weg vom Menschen, und man muss die Ergebnisse abstrahieren“, meint David Owald. Dennoch sei es „frappierend, wie dopaminerge Neurone, die bei uns Belohnung signalisieren, das gleiche in der Fruchtfliege tun.“
Aktive Neurone beginnen zu leuchten
Wie aktiv eine Hirnzelle oder ein Nervenzelleverbund gerade ist, das können die Forschenden mit Hilfe von fluoreszierenden Farbstoffen unter Spezialmikroskopen beobachten. Bei hoher Aktivität beginnen die Neurone zu leuchten – und umgekehrt. Sogar die Steuerung ganzer Netzwerkensembles lässt sich mit den Spezialmethoden messen.
Suchtmechanismen wollen die Forschenden damit auf die Schliche kommen und anderen fehlgeleiteten Prozessen wie Epilepsien und Depressionen. Immerhin finden sich rund 75 Prozent der krankheitsrelevanten Gene des Menschen auch in der Fruchtfliege. Nicht immer müssen diese Gene unbedingt dieselbe Funktion haben, meint Owald, da müsse man aufpassen. „Aber wenn wir jetzt die basale Funktion des Proteins, das von einem Gen codiert wird, verstehen wollen – dann können wir uns das in der Fliege gut anschauen – sei es beispielsweise im Kontext von Epilepsie oder Suchterkrankungen.“
Im Projekt „Simple Minds“ geht es dagegen zunächst einmal um etwas sehr Gesundes, nämlich um den Schlaf. Owald geht hier zusammen mit einem internationalen Team der Hypothese nach, dass sensorische Informationen gezielt gefiltert werden, um Schlaf bzw. das Ein- und Durchschlafen zu ermöglichen. Diese Filter könnten zum Beispiel dafür sorgen, dass Eltern nachts aufwachen, wenn Ihr Baby weint, aber durchschlafen, wenn morgens die Vögel anfangen zu zwitschern – so jedenfalls die Annahme. Zunächst will das Forscherteam den Einfluss von Licht auf das Schlafverhalten untersuchen.
Rhythm is it
„Wir glauben, dass rhythmische Netzwerkaktivitäten dafür sorgen, dass nur bestimmte sensorische Stimuli durchgelassen werden und dass sich diese rhythmische Zustände abwechseln, so dass wir in einen Zustand der Selbstbezogenheit kommen, der nur durch einen starken oder eben bedeutsamen Reiz durchbrochen werden kann“, erläutert Owald die Hypothese.
Da Schlaf durch Lichtverschmutzung und Stress für viele Menschen zu einem Problem geworden ist, hat das Projekt auch einen aktuellen Hintergrund. In Vorarbeiten hatten die Forschenden bereits herausgefunden, dass die rhythmischen Frequenzen, die man in der Fliege findet, die dem Menschen sehr ähnlich sind. Was auf neuronaler Ebene dabei abläuft, das versuchen die Forschenden nun in den „simple minds“ zu verstehen. 1:1 ließen sich die Ergebnisse zwar nicht auf den Menschen übertragen, bemerkt David Owald, aber in einer leicht veränderten Form schon. „Die grundlegenden Prinzipien dürften sehr ähnlich sein und darum geht es uns in diesem Projekt.“
Das Projekt „Simple Minds“ wird in den kommenden fünf Jahren mit rund zweieinhalb Millionen Euro durch einen ERC Consolidator Grant gefördert. Der Grant wird vom Europäischen Forschungsrat (ERC) im Rahmenprogramm Horizon Europe für „bahnbrechende Forschung“ vergeben.
(Text: Beatrice Hamberger)
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