„Die Restriktionen der Gegenwart bestimmen nicht unsere Zukunft“






Nein, die 3R-Prinzipien „Replace, Reduce, Refine“ stehen nicht bloß auf dem Papier. Sie sind bereits verinnerlicht und tragen erste Früchte. Die Eröffnung des Charité 3R-Zentrums am 23. November zeugt davon, genau wie die beeindruckenden Arbeiten, die während der Eröffnungsfeier mit dem Ursula M. Händel-Tierschutzpreis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ausgezeichnet wurden. Die Botschaft des Tages „Mehr Tierwohl in der Forschung ist möglich - Gemeinsam können wir etwas verändern“ kam bei den rund 150 Gästen gut an.
Alternativen sollen Translation beschleunigen
Zwar seien Tierversuche in der Forschung auf absehbare Zeit noch unvermeidbar, hieß es einstimmig unter den Rednern. „Aber genau darum sind wir verpflichtet, energisch nach Alternativen zu suchen“, sagte Charité-Dekan Prof. Dr. Axel Radlach Pries. Durch alternative Methoden können nicht nur Tierversuche schrittweise ersetzt und reduziert werden (replace, reduce). Sie werden entwickelt, um die Forschung zu verbessern, das heißt, Ergebnisse übertragbarer auf den Menschen zu machen. Mit Computermodellierungen etwa, Stammzellen, Organoiden, Neurosphären oder neuen Bildgebungsverfahren.
„Alternativmetoden sind High-Tech und werden uns helfen, Forschungsergebnisse schneller vom Labor zum Patienten zu bringen“, erklärte der Charité 3R-Sprecher Prof. Dr. Stefan Hippenstiel. Und was heute noch nicht möglich sei, werde es mit Sicherheit morgen. „Die Restriktionen der Gegenwart bestimmen nicht unsere Zukunft“, so Hippenstiel.
Bessere Wissenschaft und Tierschutz gehen Hand in Hand
Dass diese Restriktionen oft menschengemacht sind, darauf verwies Prof. Dr. Karl-Max Einhäupl in seiner Begrüßungsansprache. Laut dem Vorstandsvorsitzenden der Charité sind nur 20 Prozent aller tierexperimentellen Studien anschließend reproduzierbar, weil nicht sauber oder durchdacht genug gearbeitet werde. Mit anderen Worten: 80 Prozent aller Tierversuche sind reine Verschwendung. „Das müssen wir dringend verändern und die Qualität der Forschung verbessern“, sagte Einhäupl. Die enge Zusammenarbeit mit dem QUEST-Center am Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIH), das genau dieses Ziel verfolgt, sei darum ein sehr wichtiger Schritt. Aber auch mit vielen anderen Partnern wie der TU Berlin, der FU Berlin, den Max-Planck-Instituten, dem MDC oder dem Robert Koch-Institut werde das Zentrum eng zusammenarbeiten. „Gemeinsam werden wir neue Maßstäbe setzen“, betonte Einhäupl.
Weniger Belastung für Tiere
Neben Replace und Reduce verfolgt das Charité 3R Zentrum noch ein drittes Ziel: den Tierschutz stärken, und zwar durch Refinement im Forschungsalltag. Das können etwa bessere Anästhesien sein oder ein stressfreieres Versuchsdesign. Sieben Projekte zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Versuchstieren hat das Charité 3R-Zentrum bereits mit 300.000 Euro gefördert. Letztlich verspricht man sich auch hiervon bessere Resultate. „Je besser wir die Versuchsbedingungen gestalten, desto schneller kommen wir zu validen Ergebnissen“, meinte Prof. Dr. Stefan Treue, Direktor des Deutschen Primatenzentrums in Göttingen.
Berlin kann Vorreiter im Tierschutz werden
Unstrittig scheint demnach, dass bessere Wissenschaft auch mehr Tierwohl bedeutet – und umgekehrt. In diesem Sinne hat auch das Land Berlin gehandelt, als es im Koalitionsvertrag und in den Hochschulverträgen Berlin zur Hauptstadt für die Entwicklung von Alternativen zu Tierversuchen definierte. „Wir wollen den Tierschutz stärken und Tierversuche in der medizinischen Forschung so schnell und so weit wie möglich verzichtbar machen“, bekräftigte Steffen Krach, Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung des Landes Berlin. Berlin habe als eine der größten Wirtschaftsregionen Europas das Potenzial, Vorreiter auf dem Gebiet des Tierschutzes zu sein. „Mit der Gründung von Charité 3R haben wir ein wichtiges Etappenziel erreicht“, so der Staatssekretär.
Alternativen mit DFG-Tierschutzpreis geadelt
Im Rahmen der Eröffnungsfeier am 23. November wurde auch der diesjährige Ursula M. Händel-Tierschutzpreis von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) vergeben. Gleich zwei Forscher konnten sich jeweils über ein Preisgeld von 50.000 Euro freuen:
Preisträgerin Prof. Dr. Ellen Fritsche vom Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf geht der Frage nach, wie gefährlich bestimmte Chemikalien für die Gehirnentwicklung sind. Klar könnte man die Stoffe an Tieren testen. Das würde aber angesichts der Vielzahl potenzieller giftiger Chemikalien Jahrzehnte dauern. Obendrein sind die Ergebnisse nicht immer komplett auf den Menschen übertragbar. Ellen Fritsche hat deshalb einen anderen Weg gewählt: Sie stellt mit ihrer Arbeitsgruppe sogenannte Neurosphären aus menschlichen Stammzellen her. An den organähnlichen Zellkulturen könne man viel besser, effizienter und zuverlässiger die Neurotoxizität prüfen, erklärte die Toxikologin. Das Preisgeld will sie jetzt nutzen, um das Testsystem so weiterzuentwickeln, dass es als Ersatzmethode für die bislang vorgeschriebenen Tierversuche anerkannt wird.
Ratten ins Gehirn geschaut
Ohne selbst einen einzigen Tierversuch durchzuführen, hat PD Dr. Dr. Hamid Reza Noori vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen die biochemischen Schaltkreise im Rattengehirn aufgeklärt, die grundlegend für die Informationsverarbeitung sind. Dafür hat er Daten aus allen jemals veröffentlichten neurobiologischen Studien mit Ratten zusammengeführt und mit neuen Ansätzen aus Mathematik, Datamining und Maschinellem Lernen ausgewertet. Der Mathematiker, Physiker und Mediziner stellt die Daten von mehr als 150.000 Ratten nun in zwei Open-Access-Datenbanken zur Verfügung, so dass Forscher weltweit darauf zurückgreifen können. Das Rad muss also nicht bei jeder neuroanatomischen und neuropharmakologischen Fragestellung neu erfunden werden. Nooris Arbeit ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie Big Data unnötige Tierversuche einsparen kann.
(Autorin: Beatrice Hamberger)
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