
Die „innere Uhr“ gewinnt in der medizinischen Forschung immer mehr an Bedeutung. Denn ein gestörter Tag-Nacht-Rhythmus scheint offenkundig schlecht für die Gesundheit zu sein. Ob das auch auf die Knochenheilung zutrifft, das wollen Forscher vom Julius-Wolff-Institut der Charité jetzt wissen. Perspektivisch soll das Projekt zu neuen Therapien von Knochenbrüchen führen.
Nachts, wenn wir schlafen, ist er besonders aktiv: der Knochenstoffwechsel, der unsere Knochen permanent umbaut, damit wir möglichst bis ins hohe Alter eine hohe Knochendichte besitzen. Wenn wir allerdings regelmäßig die Nacht zum Tag machen, könnten diese Umbauprozesse empfindlich gestört werden. Hinweise darauf geben große US-amerikanische Kohortenstudien, wonach Schichtarbeitende eine geringere Knochendichte haben als Personen mit einem normalen Tag-Nacht-Rhythmus. Damit ist auch ihr Risiko für Osteoporose und Knochenbrüche erhöht.
„Wollen Forschungslücke schließen“
Aber heilen Knochenfrakturen bei Schichtarbeitern auch schlechter? Obwohl seit Jahren bekannt ist, dass der Tag-Nacht-Rhythmus, der sogenannte zirkadiane Rhythmus, etliche Vorgänge und Stoffwechselprozesse im Körper steuert und eben auch den Knochenstoffwechsel, gibt es hier noch eine große Forschungslücke. Schließen will die nun eine Forschungsgruppe vom Julius-Wolff-Institut an der Charité.
„Wir wollen verstehen, ob und wie genau die Frakturheilung durch den zirkadianen Rhythmus beeinflusst wird“, sagt Dr. Denise Jahn, Forscherin am Julius-Wolff-Institut „Erst wenn wir diese Prozesse im Detail kennen, können wir auch neue Therapien für betroffene Patienten entwickeln, und das ist das übergeordnete Ziel unserer Arbeit.“
Knochen sind ein besonderes Organsystem, da sie nahezu narbenfrei verheilen können. Nach konservativen Schätzungen tritt jedoch bei bis zu 15 Prozent der Knochenbrüche eine verzögerte oder fehlende Heilung ein; die Ursachen sind in vielen Fällen unbekannt. Viele Betroffene bleiben jahrelang beeinträchtigt, in höherem Alter kann eine Fraktur durch die folgenschwere Bettlägerigkeit sogar eine Todesursache sein. Der Forschungsbedarf ist also entsprechend groß.
Vordaten bestätigen Vermutung
An Mäusen, bei denen ein zentrales Gen der zirkadianen Uhr ausgeschaltet war, konnten die Forschenden bereits zeigen, dass die Knochenheilung tatsächlich gestört war. Jetzt versuchen sie, dieses erste Ergebnis auf molekularer Ebene nachzuvollziehen. Sie schauen sich beispielsweise an, welche Gene in den unterschiedlichen Heilungsstadien exprimiert und reguliert werden, färben Zellen ein und analysieren diese mit bildgebenden Verfahren. Später wollen die Forschenden die Ergebnisse mit Mäusen vergleichen, deren Tag-Nacht-Rhythmus nicht durch einen Gen-Knock-out, sondern durch äußere Einflüsse wie Licht gestört wird. Daraus kann man schließen, welchen Einfluss die Rhythmen im Gehirn und lokal im Knochen auf die Knochenheilung haben. Obwohl die Maus im Gegensatz zum Menschen nachtaktiv ist, sind die grundlegenden Mechanismen der rhythmischen Stoffwechselaktivität sehr ähnlich. Daher verändert eine Störung des Tag-Nacht-Rhythmus im zentralen Nervensystem dieselben Prozesse im Körper.
Da die zirkadiane Uhr eng mit den Stresssignalen im Körper verknüpft ist, ist es für die Forschenden umso wichtiger, unnötigen Stress für die Mäuse zu vermeiden. Aus diesem Grunde werden die Mäuse in Gruppen gehalten und können sich mit unterschiedlichen Materialien beschäftigen, beispielsweise mit Nagehölzern, Röhren und Häuschen, in denen sie mit Papiertüchern ein Nest bauen können. Mithilfe des sogenannten Tunnelhandlings, bei dem die Mäuse lernen, in eine Röhre zu laufen mit der man sie in einen neuen Käfig setzen kann, sollen negative Erlebnisse, wie das Fangen am Schwanz, vermieden werden.
„Um die Zusammenhänge zwischen Knochenheilung und zirkadianem Rhythmus zu verstehen, brauchen wir einen lebenden Organismus mit Blutfluss, einer natürlichen Vielfalt an Zellen, einem Immunsystem und vor allem einem zentralen Nervensystem, denn im Gehirn ist ja die zirkadiane Uhr verankert“, betont Biologin Jahn. Perspektivisch sollen an dem Modell Modulatoren für die zirkadiane Rhythmik getestet werden, ebenso wie eine gesunde Schlafhygiene, um Ansatzpunkte für mögliche Therapien zu finden.
Und natürlich ist auch eine klinische Studie mit Schichtarbeitenden in Planung. Die Anforderungen daran sind jedoch hoch, da die Knochenheilung von vielen Faktoren abhängt, die für jede Person erfasst und bewertet werden müssen. Eine kleine Kohorte von Patientinnen und Patienten mit gut beschriebener Frakturheilung soll den Anfang machen.
Forschungsergebnisse vermutlich auch für andere Verletzungen relevant
„Wir betrachten das alles augenblicklich nur für den Knochenbruch, glauben aber, dass unsere Ergebnisse auch für andere Verletzungen relevant sein könnten“, sagt Jahn. Insofern sei man mit der Erforschung der Rolle der zirkadianen Uhr in der Knochenheilung Teil eines großen, neuen Forschungszweigs, der immer mehr an Bedeutung gewinne.
In der Krebsmedizin hat man die Rolle der zirkadianen Uhr bereits erkannt. Dort fängt man gerade an, Schlafhygiene in die Therapiekonzepte mit hineinzunehmen. „Gut möglich, dass auch wir bald unseren Patienten nach einer Knochenfraktur sagen, dass sie in den nächsten Wochen abends bitte immer zur selben Zeit schlafen gehen sollen, um die Wundheilung zu fördern“, meint Denise Jahn. „Aber um dort hinzukommen, müssen wir noch weiter forschen.“
(Text: Beatrice Hamberger)
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Arbeitsgruppe Molekulare Unfallchirurgie
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