

Die Charité-Wissenschaftler Ellen Na und Dr. Geert Michel sowie das Team der Core Facility Transgene Technologien der Charité haben aus drei verschiedenen Zelllinien erstmals Mäuse-Embryonen rekonstruiert. Dies könnte der Anfang von etwas Größerem sein: Wenn alles so gut läuft wie bisher, könnten künftig eine Menge Versuchstiere eingespart werden. Das, was Ellen Na und Dr. Geert Michel an langen Tagen und Nächten in ihrem Labor der Transgenen Technologien der Charité in Steglitz entwickelt haben, ist so winzig klein, dass es mit dem bloßen Auge nicht erkennbar ist. Und doch hat ihre Arbeit zur Titelgeschichte im renommierten Fachmagazin „Nature Cell Biology“ geführt.
Auf dem Titelbild der August-Ausgabe 2018 sind stark vergrößerte Mikroskop-Aufnahmen von Mäuse-Embryonen zu sehen. Spektakulär sind die kugeligen gelben, violetten und türkisen Zellkonstruktionen deshalb, weil sie nicht auf natürliche Weise entstanden sind: Die beiden Wissenschaftler haben sie aus drei verschiedenen Zelllinien der Maus im Labor „zusammengebaut“: aus embryonalen Stammzellen (ES-Zellen), aus denen der Embryo entsteht, aus trophoblasten Stammzellen (TS-Zellen), aus denen sich die Plazenta bildet und aus extra-embryonalen Endodermzellen (XEN-Zellen), welche den Embryo abgrenzen und später den Dottersack bilden.
Keinem anderen Wissenschaftler ist es zuvor gelungen, einen so vollständigen ETX-Embryo* aus reiner Zellkultur zu schaffen. „Wir waren die Ersten“, freut sich Ellen Na, die als gelernte medizinisch-technische Assistentin (MTLA) schon seit über 30 Jahren an der Charité mit tierischen und menschlichen Zellen forscht. Dass sie nun etwas schaffen konnte, das es noch nie zuvor gegeben hat, und dazu möglicherweise Tausende Versuchstiere einsparen könnte, das sei schon ein „verdammt gutes Gefühl.“
Begonnen hatten diese Arbeiten mit einem Auftrag. Eine Arbeitsgruppe der Charité hatte die Etablierung von TS-Zellen aus Blastozysten in Auftrag gegeben. Bisher wurden ausschließlich ES-Zellen routinemäßig im Labor etabliert. Bei der Recherche für die TS-Zellen wurde Ellen Na schnell klar, dass man zusätzlich nur noch die XEN-Zellen in Kultur nehmen müsste, um die drei Zelltypen der Blastozyste komplett zu haben. „Artikel über die Rekonstruktion von Haarfollikeln aus den einzelnen Zelltypen brachte mich auf die Idee dies mit den drei Stammzellen der Blastozysten zu versuchen“, berichtet Frau Na, und es brauchte nicht viel, um ihren Kollegen Dr. Geert Michel mit ihrer Begeisterung anzustecken.
Als Leiter der Transgene Technologien in den Forschungseinrichtungen für Experimentelle Medizin (FEM) der Charité stellen Michel und sein engagiertes Team gentechnisch veränderte Tiermodelle für die Forschung her. Den Tierverbrauch bei der Herstellung zu reduzieren bzw. tierversuchsfreie Modelle zu entwickeln stand schon bald nach der Gründung auf der Agenda der Serviceeinheit und wurde von der Charité stets unterstützt und gefördert. Neben vielen methodischen Verbesserungen im Bereich der Herstellung, Kryokonservierung und Sanierung von Tiermodellen war die Idee mit den ETX-Embryonen ziemlich vielversprechend.
Gleiche Ausgangsbedingungen für verschiedene Zelllinien geschaffen
Die gemeinsame Anzucht und Vermehrung von embryonalen und trophoblasten Stammzellen wurde schon publiziert. Diese Kokulturen waren jedoch in ihrem Entwicklungspotential stark eingeschränkt bzw. entwickelten sich nicht weiter. Ellen Na hatte die Idee, nicht nur mit embryonalen und trophoblasten Stammzellen zu arbeiten, sondern eine dritte Zelllinie, die XEN-Zellen, dazu zu nehmen. „Das war wirklich wichtig“, sagt Biologe Michel. „Ein weiterer entscheidender Vorteil war, dass wir ein Kulturmedium für alle drei Zelllinien gefunden haben, denn eine natürliche Interaktion der drei Zelllinien in der Kokultur ist nur bei gleichen Ausgangsbedingungen möglich.“
Genau an diesem Punkt waren andere Forscher gescheitert. Es war wieder Ellen Na, die sich deshalb ausgiebig mit Nährlösungen beschäftigte, in denen Zellkulturen gedeihen können. Nach reichlicher Recherche und praktischen Experimenten fand sie schließlich eine Zusammensetzung eines Mediums, das für alle drei Zelltypen passte. In dieser Nährlösung wurden dann die ES-, TS- und XEN-Zellen zunächst getrennt voneinander angezüchtet, vermehrt und anschließend in einem bestimmten Mengenverhältnis in einer Zellsuspension wieder zusammengesetzt. Ein wichtiger Meilenstein war erreicht.
Doch es gab noch eine weitere Herausforderung zu meistern: Zellen haben die Tendenz, auf den Boden zu sinken, dort kleben zu bleiben und sich dann ausschließlich zweidimensional auszubreiten. Um das zu verhindern bzw. ein dreidimensionales Wachstum zu ermöglichen, experimentierte Na mit so genannten Ultra-low-attachment Platten, die 384 winzige Schälchen (Wells) enthalten. Auf diesen Platten setzen sich Zellen nicht ab, sondern machen offenbar genau das, was sie sollen: „Wenn Sie da die Zellsuspension draufgeben, fügen sich die verschiedenartigen Zellen in je einem Well wieder zusammen und formieren sich zu Aggregaten“, erklärt Na. „Nach einigen Tagen haben wir embryoartige Strukturen gesehen, und das war genau das, was wir erreichen wollten.“
Ein weiterer wichtiger Schritt zum ETX-Embryo war also geschafft. Aber waren diese Strukturen auch wirklich identisch mit einem „echten“ Embryo oder gab es lediglich äußerliche Ähnlichkeiten?
Um das herauszufinden, wären aufwändige Analysen notwendig gewesen, für die den beiden jedoch die Mittel fehlten. „An diesem Punkt war Schluss, weil wir die Strukturen nicht mehr analysieren konnten“, erzählt Geert Michel. Vorträge haben die beiden gehalten und immer wieder verschiedene Experten angesprochen, bis etwa sechs Monate später die gute Vernetzung innerhalb Berlins und ein glücklicher Zufall zu Hilfe kam: Ein Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik gab den entscheidenden Hinweis, dass die renommierte Embryonen-Forscherin Prof. Magdalena Zernicka-Goetz von der University of Cambridge (UK) am nächsten Tag zu Besuch in Berlin sein werde. Vielleicht sei ja kurz Gelegenheit, ihr das Projekt vorzustellen.
Das musste den beiden niemand zweimal sagen. Mit einer über Nacht erstellten Kurz-Präsentation, die das Projekt für eine vielbeschäftigte Wissenschaftlerin in nur 10 Sekunden erfassbar machen sollte, trafen Ellen Na und Geert Michel einen Tag später auf die Koryphäe ihres Fachs. Statt zehn Sekunden nahm sich Zernicka-Goetz - trotz eines straffen Programms - eine Stunde für ihre Berliner Kollegen Zeit. „Sie war wahnsinnig interessiert und wollte mich am liebsten gleich mit ins Flugzeug nehmen“, erinnert sich Ellen Na.
Analysen bestätigen: Es sind embryonale Strukturen
Der Flug nach Cambridge folgte drei Wochen später, mit drei Zelllinien und mehreren Aggrewell-Platten im Gepäck. Mit 1.200 winzigen Trichtern pro Well ist diese 24well-Platte noch einmal eine Steigerung zu den zuvor verwendeten Platten, da man hierin auf einen Schlag mehr als eintausend Embryonen ansetzen kann. Und obwohl Na und Michel zuvor in Berlin noch nie damit gearbeitet haben, klappten die Experimente in Cambridge wie am Schnürchen. „Meine Kollegin hat den weltweit angesehensten Embryonen-Forschern unsere Methode und die Technik beigebracht und wurde dort als Star gefeiert“, meint Michel stolz. „So etwas gibt es wahrscheinlich nur einmal im Leben.“
Einmalig auch, dass die anschließenden Analysen von Magdalena Zernicka-Goetz bestätigen, dass es sich bei den Strukturen tatsächlich um Embryonen handelt. Genug Stoff für eine Titelgeschichte in Nature Cell Biology. An der Fortsetzung wird gerade gearbeitet. Denn noch steht die Frage im Raum, ob sich die Embryonen auch zu Mäusen entwickeln. Mit den bereits in Berlin gestarteten Embryonentransfers in echte Ammen und den folgenden Analysen, wiederum in Cambridge, wird die Frage wohl bis Mitte 2019 beantwortet werden können. „Wir sehen schon jetzt, dass die Einnistung in die Gebärmutterschleimhaut klappt, bloß wissen wir noch nicht, wie sich die Zellkonstrukte im Uterus weiterentwickeln“, beschreibt Michel den aktuellen Stand der Dinge.
Tausende Mäuse würden jedes Jahr eingespart
Wenn das Vorhaben klappen sollte und die Ergebnisse zuverlässig reproduzierbar sind, gäbe es viele Einsatzmöglichkeiten. Eine davon ist die Reduzierung von Tierversuchen. Vorstellbar wäre in Zukunft an den Embryonen aus der Petrischale zum Beispiel neue Substanzen für potenzielle Arzneimittel testen oder direkt die Einnistung von Embryonen in vitro zu studieren, ohne dass ein Tier dafür sterben müsste. Mindestens ebenso viel Einsparpotenzial verspricht die Herstellung von transgenen Mauslinien. Grundlagenforscher benötigen z.B. Knock-out-Mäuse, um Krankheitsmechanismen zu verstehen und neue Therapieansätze zu finden – und das in großer Zahl. Die Embryonen, die dafür benötigt werden, stammen von Spender-Tieren, die dafür getötet werden. Mit künstlich hergestellten Embryonen hätte das ein Ende. „Wir sind voller Hoffnung, dass durch unseren Ansatz eines Tages auf die Embryonen-Spender verzichtet werden kann“, meint Geert Michel. „Die Zahl der Versuchstiere würde dadurch enorm reduziert.“
Ellen Na hat inzwischen die Arbeitsgruppe gewechselt, ihr Wunsch wäre jedoch, dass dieses Projekt, wie auch immer, weiter fortgesetzt werden würde. Eine zweite Publikation wäre schön, noch schöner wäre es, wenn sich ihre Methode als tierschonende Alternative fest etablieren würde. „Das“, meint die Berlinerin, die einmal Sinologie, Koreanistik und Linguistik studiert hat, „wäre ein echtes Happy End.“
*ETX steht für die Anfangsbuchstaben der drei Zelllinien
(Autorin: Beatrice Hamberger)
Originalpublokation:
Self-assembly of embryonic and two extra-embryonic stem cell types into gastrulating embryo-like structures. Nat Cell Biol. 2018 Oct;20(10):1229. doi: 10.1038/s41556-018-0187-z. Berna Sozen, Gianluca Amadei, Andy Cox, Ran Wang, Ellen Na, Sylwia Czukiewska, Lia Chappell, Thierry Voet, Geert Michel, Naihe Jing, David M. Glover & Magdalena Zernicka-Goetz.
Links
Forschungseinrichtung Transgene Technologien
Kontakt
Dr. rer. nat. Geert Michel
Leitung Serviceeinrichtung Transgene Technologien
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