
Tinnitus erzeugt einen hohen Leidensdruck und ist schwer zu behandeln. Hoffnung machen nun Forschungsergebnisse der Charité: Im Rahmen des INTAKT-Projektes konnte das Team um Prof. Heidi Olze zeigen, dass sich das lästige Ohrgeräusch schon durch elektrische Stimulation über den Gehörgang reduzieren lässt. Auch erste Entwürfe für Mikro-Implantate liegen bereits vor. Nun sollen weitere Studien folgen, um das Vorhaben eines interaktiven Tinnitus-Implantats zur Marktreife zu bringen. Die Ergebnisse aus Untersuchungen an Meerschweinchen waren dabei ein wesentlicher Faktor.
Es rauscht, pfeift oder zischt permanent im Ohr, ohne äußeren Anlass: Bis zu zehn Prozent der Bevölkerung leiden an einem Behandlungsbedürftigen Tinnitus. Das ständige Geräusch im Ohr erzeugt Stress und geht häufig mit weiteren Begleiterkrankungen wie Depressionen einher. Eine kausale Therapie gibt es bis heute nicht. Bei einer schweren Belastungssituation kann eine kognitive Verhaltenstherapie den Betroffenen helfen, besser mit dem Stressor umzugehen und ihre Lebensqualität verbessern.
Schwerhörige und taube Menschen sind besonders häufig von einem Tinnitus betroffen.
Werden diese Personen allerdings mit einem Cochlea-Implantat versorgt, bessert sich mit dem Hören oft auch das Ohrgeräusch. Diese Beobachtung – unter anderem aus eigenen Outcome-Studien - brachte Prof. Dr. Heidi Olze, Leiterin der HNO-Klinik der Charité vor einigen Jahren auf eine geniale Idee: Könnte man diese elektrische Stimulation nicht auch bei Patientinnen und Patienten, unabhängig von ihrer Hörsituation anwenden und zur Behandlung des Tinnitus nutzen? Hierfür müsste ein interaktives, vom Patienten individuell steuerbares Mikro-Implantat entwickelt werden, dass möglichst nahe an der Hörschnecke platziert werden kann.
Forschung und Entwicklung im Rahmen des INTAKT-Projekts
Mit dieser Fragestellung traf sie genau den Nerv des INTAKT-Projekts, das vom Bundesforschungsministerium (BMBF) mit 13,5 Millionen Euro gefördert wird. INTAKT steht für die Entwicklung INTerAKTiver Mikroimplantate. Im Fokus stehen hierbei die Behandlung von Darmmotilitätsstörungen, die Wiederherstellung von Greiffunktionen der Hand – und eben die Unterdrückung des Tinnitus.
„Unsere Erfahrungen mit Cochlea-Implantaten waren der Ausgangspunkt für diese klinische Anwendung im Rahmen des INTAKT Projektes, in dem wir das weltweit erste interaktive Tinnitus-Implantat im Sinne eines „proof of concept“ entwickeln wollen“, erzählt Heidi Olze. „Erste Ergebnisse sehen sehr vielversprechend aus und ermutigen uns, unsere Arbeit fortzusetzen.“
Klinische Studie erzielt hohe Erfolgsquote
Das erste vielversprechende Ergebnis stammt aus einer klinischen Studie. Insgesamt 100 Tinnituspatienten erhielten eine nicht-invasive Elektrostimulation an drei aufeinanderfolgenden Tagen. Bei 55 Prozent der Studienteilnehmer wurde der Tinnitus anschließend deutlich leiser, zusätzlich verbesserte sich auch der Tinnitus-Stress. „Das ist eine sehr hohe Erfolgsquote “, erläutert die HNO-Ärztin das bemerkenswerte Resultat dieser Proof-of-Concept-Studie.
Dabei wurde in diesem Fall der Gehörgang nur von außen mit einer Elektrode in zwei Frequenzen stimuliert. Das angestrebte Mikro-Implantat soll wesentlich mehr können: Es soll geräuschadaptiert von den Patienten selbst eingestellt werden können, etwa über das Smartphone – „für eine personalisierte Tinnitusunterdrückung“, wie Olze sagt.
Ein Tinnitus-Implantat ist grundsätzlich machbar
Bis dahin ist es zwar noch ein weiter Weg, doch wichtige Vorarbeiten sind bereits gemacht. In einer Studie mit Meerschweinchen konnten die Forschenden zeigen, dass sich die Elektrostimulation prinzipiell durch ein Mikro-Implantat realisieren lässt. Für diese zweite Proof-of-Concept-Studie wurden mehrere technische Lösungen von Industriepartnern auf ihre Umsetzbarkeit hin überprüft, was nicht ganz trivial ist: Während ein Cochlea-Implantat in der Hörschnecke platziert wird, will man dies bei Tinnitus-Implantaten unbedingt vermeiden, aber dennoch so nah wie möglich an den Hörnerv heran. Das sogenannte runde Fenster ist hierfür der bevorzugte Ort. Beim Menschen misst es gerade mal 2.5 mm2 / Durchmesser ca. 0.5-2 mm, beim Meerschweinchen ist es etwa halb so groß. Wenig Platz also für eine Elektrode, die später einmal mit digitaler Technik verbunden werden soll. Doch auch diese Herausforderung konnte gemeistert werden. Aus der Studie gingen zwei Prototypen hervor, die nun weiterentwickelt werden sollen.
Meerschweinchen sind das gängige Innenohrmodell
Warum Meerschweinchen? Die kleinen Nagetiere sind das gängige Modell für die Innenohrforschung, „weil ihr Innenohr dem des Menschen sehr ähnlich ist“, erläutert Heidi Olze. „Für unsere Arbeit sind sie unverzichtbar, denn Versuche an Menschen in einem solch frühen Forschungsstadium verbieten sich.“ Gleichzeitig ist die Anwendung einer tierfreien Ersatzmethode aufgrund der Komplexität des Gehörs und des gesamten zugehörigen Nervensystems derzeit nicht möglich. Im Sinne einer konsequenten Anwendung der 3R wurden deshalb im ersten Entwicklungsschritt zunächst Studien an einem anatomischen Modell durchgeführt. Durch diesen gestaffelten Prozess konnte die Zahl der eingesetzten Tiere reduziert und eine Optimierung der neuen Elektrodenträger gewährleistet werden.
Auch für die Weiterentwicklung der Implantate sind die Forschenden zunächst noch auf das Tiermodell angewiesen, „bis wir die ersten Prototypen für den Menschen haben.“ Augenblicklich sind die Forschenden im Gespräch mit potenziellen Kooperationspartnern, die bereit sind, viel Geld in die Entwicklung des ersten interaktiven Tinnitus-Implantats zu stecken. Ein Antrag beim BMBF auf die Förderung einer Folgestudie ist bereits gestellt. Hörimplantate-Expertin Olze ist zuversichtlich, dass beides klappt. Doch einen schnelle Lösung für Betroffene kann sie nicht versprechen. Bis ein so komplexes Mikro-Implantat marktreif ist, dauert es bestimmt noch zehn Jahre – vorausgesetzt die Folgestudien verlaufen genauso reibungslos wie die erste beiden Proof-of-Concept-Studien. „Unsere Patientinnen und Patienten haben einen hohen Leidensdruck“, betont Heidi Olze, „und wir hoffen natürlich sehr, dass wir unser Vorhaben erfolgreich zu Ende bringen können.“
(Text: Beatrice Hamberger)
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